[[FARBENLEHRE]] | [[Sinnlich-sittliche Wirkung]] [[Empfindung [[Wissenschaft & Erleben]] ##### Objektive seelische Wirkung der Farben Goethe geht aus von den physiologischen Farben; das habe ich Ihnen ja dargestellt, als ich seinen Weg charakterisiert habe, durch andere Untersuchungsmethoden zu Erkenntnissen zu kommen, als es die heutigen Untersuchungsmethoden sind. Dann aber gipfelt seine ganzen Betrachtungsweise in dem Kapitel, das er nannte «Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe». Da geht Goethe gewissermaßen direkt aus dem Physikalischen heraus in das Seelische hinein, und er charakterisiert dann mit einer außerordentlichen Treffsicherheit das ganze Spektrum der Farben. Er charakterisiert den Eindruck, der erlebt wird; er ist ja etwas durchaus objektiv Erlebtes. Wenn er auch im Subjekt erlebt wird, so ist er doch im Subjekt etwas durchaus objektiv Erlebtes, der Eindruck, den, sagen wir, die nach der warmen Seite des Spektrums hin gelegenen Farben machen, rot, gelb. Er schildert sie in ihrer Aktivität, wie sie gewissermaßen auf den Menschen aufreizend oder anregend wirken. Und er schildert, wie dann die Farben, die nach der kalten Seite hin gelegen sind, abregend wirken, zur Hingabe anspornen; und er schildert, wie das Grün in der Mitte eine ausgleichende Wirkung hat. ##### Seelischer Unterton in der sinnlichen Farbwahrnehmung Er schildert also gewissermaßen ein Gefühlsspektrum. Und es ist interessant, sich zu vergegenwärtigen, wie da ein seelisch Differenziertes unmittelbar herausspringt aus der geordneten physikalischen Betrachtungsweise. Wer einen solchen Gang der Untersuchungen versteht, der kommt zu folgenden Ergebnissen. Er sagt sich: Die einzelnen Farben des Spektrums stehen vor uns, sie werden erlebt als Entitäten, die sich ausnehmen als vom Menschen durchaus abgesondert. In der gewöhnlichen Lebenserfassung legen wir ganz selbstverständlich und berechtigt den größten Wert darauf, dieses objektive Element, sagen wir im Rot, im Gelb, unmittelbar ins Auge zu fassen. Aber es ist überall da ein Unterton. Es ist, wenn man auf das unmittelbare Erleben sieht, dieses eigentlich nur in der Abstraktion zu trennen von dem, was ein sogenanntes äußerlich vom Menschen abgesondertes Erlebnis der roten Nuance und der blauen Nuance ist in objektivem Sinn; es ist eine abstrakte Absonderung von dem, was ja unmittelbar im Seh-Akt auch miterlebt wird, was aber nur angeschlagen wird, was sozusagen miterlebt wird in einem leisen Unterton, der aber niemals wegbleiben kann, so daß man auf diesem Gebiet rein physikalisch nur betrachten kann, wenn man erst das, was seelisch erlebt wird, abstrahiert von dem Physikalischen. ([[GA 073a]], [12.01.1921, S. 287](https://akanthosakademie.files.wordpress.com/2023/06/ga073a.pdf#page=287&view=Fit))