[[DARWINISMUS]] | [[EVOLUTION]] [[Artkonstanz]] | [[Doppeltes Gesetz]] | [[Goethe & Darwin]] ##### Erklärung _bestimmter_ organischer Formen durch äußere Umstände Wer nun aber die organischen Formen für wandelbar ansieht, an den tritt die Aufgabe heran: die zu einer Zeit tatsächlich bestehenden zu _erklären,_ das heißt die Ursachen anzugeben, warum sich unter den von ihm vorausgesetzten Verhältnissen doch _bestimmte_ Formen entwickeln und ferner jene: den Zusammenhang dieser bestehenden Formen untereinander darzulegen. Dies war Goethe vollständig klar, und wir ersehen aus den hinterlassenen Papieren, daß er bei der beabsichtigten Weiterführung seiner morphologischen Arbeiten daran dachte, seine Anschauungen nach dieser Richtung hin auszugestalten. So enthält ein Schema zu einer «Physiologie der Pflanzen» folgendes: ##### Doppeltes Gesetz: innere Natur & äußere Umstände «Die Metamorphose der Pflanzen, der Grund einer Physiologie derselben. Sie zeigt uns die Gesetze, wonach die Pflanzen gebildet werden. Sie macht uns auf ein doppeltes Gesetz aufmerksam: 1. Auf das Gesetz der innern Natur, wodurch die Pflanzen konstituiert werden. 2. Auf das Gesetz der äußern Umstände, wodurch die Pflanzen modifiziert werden. Die botanische Wissenschaft macht uns die mannigfaltige Bildung der Pflanze und ihrer Teile bekannt, und von der andern Seite sucht sie die _Gesetze dieser Bildung_ auf. (...)» ##### Neue Formen werden durch veränderte Umstände bewirkt. Artkonstanz durch Vererbung Jede bestimmte Pflanzen- und Tierform ist nach Goethes Auffassungsweise also aus zwei Faktoren zu erklären: aus dem Gesetz der innern Natur und aus dem Gesetz der Umstände. Da nun aber diese Umstände an einem bestimmten Orte und in einer bestimmten Zeit eben _gegebene_ sind, die sich innerhalb gewisser Grenzen nicht verändern, so ist es auch erklärlich, daß die organischen Formen innerhalb dieser Grenzen konstante bleiben. Denn diejenigen Formen, die unter jenen Umständen möglich sind, finden eben in den einmal entstandenen Wesen ihren Ausdruck. Neue Formen können nur durch eine Veränderung dieser Umstände bewirkt werden. Dann aber haben diese neuen Umstände nicht allein sich dem Gesetze des Inneren der organischen Natur zu fügen, sondern auch mit den schon entstandenen Formen zu rechnen, denen sie gegenübertreten. Denn was in der Natur einmal entstanden ist, erweist sich fortan in dem Tatsachenzusammenhange als mitwirkende Ursache. Daraus ergibt sich aber, daß den einmal entstandenen Formen eine gewisse Kraft, sich zu erhalten, innewohnen wird. Gewisse einmal angenommene Merkmale werden noch in den fernsten Nachkommen bemerkbar sein, wenn sie auch aus den Lebensverhältnissen dieser Wesen durchaus sich nicht erklären lassen. Es ist dies eine Tatsache, für die man in neuerer Zeit das Wort _Vererbung_ gebraucht. Wir haben gesehen, daß in der Goetheschen Anschauungsweise ein begrifflich strenges Korrelat für das mit diesem Worte Verbundene gefunden werden kann. ([[GA 030]], [[Über den Gewinn unserer Anschauungen von Goethes naturwissenschaftlichen Arbeiten durch die Publikationen des Goethe-Archivs (1891)|1891]], [[Über den Gewinn unserer Anschauungen von Goethes naturwissenschaftlichen Arbeiten durch die Publikationen des Goethe-Archivs (1891)#^bfqudb|S. 278 ff.]]) ___ Über den Gewinn unserer Anschauungen von Goethes naturwissenschaftlichen Arbeiten durch die Publikationen des Goethe-Archivs (1891). (GA 030). Rudolf Steiner Verlag, 3. Aufl., Dornach 1989[ ](https://akanthosakademie.files.wordpress.com/2023/06/ga030.pdf#page=278&view=Fit).