[[GOETHEANISMUS]] | [[MENSCH & WELT]] [[Geisteswissenschaft]] | [[Goethe, Bedeutung]] | [[Goethes Weltanschauung]] | [[Ich & Welt]] | [[Kunst]] ##### Goethes dreifache Bedeutung: Naturwissenschaftliche Grundlage, Natur und Kunst, Mensch und Welt. Ausgangspunkt der Geisteswissenschaft Denn Goethe selber ist im besten, im wahrsten Sinne des Wortes der modernste Geist des fünften nachatlantischen Zeitraums. Bedenken Sie nur, was in diesem Goethe eigentlich alles als besonders charakteristisch Eigentümliches ist. **Erstens, seine gesamte Weltanschauung - die in die geistigen Höhen noch höher hinaufgeführt werden kann, noch höher als sie Goethe selbst führen konnte - ruht auf solidem naturwissenschaftlichem Boden**. Es gibt keine solide Weltanschauung in der Gegenwart, die nicht auf naturwissenschaftlichem Boden ruhen könnte. Daher ist so viel Naturwissenschaftliches in dem Buche, mit dem ich 1897 meine damaligen Goethe-Studien abgeschlossen habe, und das jetzt in neuer Auflage wiederum erschienen ist aus ähnlichen Gründen, wie die Neuauflage der «Philosophie der Freiheit» erschienen ist. Das Philisterium hat damals gesagt - damals wurden meine Bücher noch rezensiert -: Der nennt das «Goethes Weltanschauung»; er müßte eigentlich sagen «Goethes Naturanschauung».- Nun ja, daß das, was wirklich Goethes Weltanschauung ist, nur so dargestellt werden kann, daß die solide Grundlage der Goetheschen Naturanschauung geboten wird, das sahen natürlich diejenigen nicht ein, welche maskierte Goethe-Forscher oder dergleichen waren, Literarhistoriker oder Philosophen oder so etwas. **Ein zweites Charakteristisches für Goethe, was ihn wiederum zu dem modernsten Geiste der fünften nachatlantischen Zeit macht, ist, wie sich in seiner Seelenverfassung jener eigentümliche innere Geistesweg gestaltet, der von der intuitiven Naturanschauung zur Kunst hinführt**. **Es gehört zu den allerinteressantesten Problemen der Goethe-Betrachtung, diesen Zusammenhang von Naturanschauung und künstlerischer Betätigung, künstlerischem Schaffen und künstlerischer Phantasie eben in Goethes Seele zu verfolgen**. Nicht auf Hunderte, sondern auf Tausende von Fragen, die aber nicht pedantische theoretische Fragen sind, sondern die lebensvolle Fragen sind, kommt man, wenn man diesen ganz eigenartigen, merkwürdigen Weg betrachtet, der sich bei Goethe immer abspielt, wenn er die Natur künstlerisch, aber darum nicht weniger ihrer Wirklichkeit nach betrachtet, und wenn er in der Kunst so wirkt, daß man, um sein eigenes Wort zu gebrauchen, in seiner Kunst etwas verspürt wie eine auf höherer Stufe erfolgende Fortsetzung des göttlichen Naturschaffens selber. **Ein drittes, was für Goethes Weltanschauung so charakteristisch ist, ist, wie Goethe den Menschen hineinstellt in das ganze Weltenall, wie er in dem Menschen die Blüte, die Frucht des ganzen übrigen Weltenalls sieht, wie er immerdar bemüht ist, ihn nicht isoliert zu betrachten, sondern ihn so zu betrachten, daß der Mensch dasteht und gewissermaßen durch ihn durchwirkt die ganze Geistigkeit, die der Natur zugrunde liegt, und der Mensch mit seiner Seele den Schauplatz abgibt, auf dem sich der Geist der Natur selber anschaut**. Aber mit diesen also abstrakt ausgesprochenen Gedanken hängt unendlich vieles zusammen, wenn es im Konkreten verfolgt wird. Und all dies ist ja im Grunde genommen erst die solide Grundlage, auf der dann aufgebaut werden kann das, was zu den höchsten Höhen übersinnlicher, geistiger Betrachtung gerade in der heutigen Zeit führen kann. Wenn man heute darauf aufmerksam macht, daß die Welt versäumt hat, sich mit Goethe zu befassen - das hat sie -, daß die Welt versäumt hat, irgendwie eine Beziehung zum Goetheanismus zu gewinnen, ja, dann geschieht das wahrhaftig nicht, um diese Welt auszuzanken, um diese Welt abzukanzeln oder abzukritisieren, sondern nur, um dazu aufzufordern, ein solches Verhältnis zum Goetheanismus zu gewinnen. Denn dieser Goetheanismus, fortgesetzt, bedeutet eben ein Hineinkommen in anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. Und ohne anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft kommt die Welt aus der heutigen katastrophalen Lage nicht heraus. Man kann in gewisser Weise am sichersten anfangen, wenn man in die Geisteswissenschaft hineinkommen will, indem man mit Goethe anfängt. ([[GA 185]], S. 168-170, 01.11.1918) --- Geschichtliche Symptomatologie. (GA 185). Rudolf Steiner Verlag, 3. Aufl., Dornach 1982[ ](https://akanthosakademie.files.wordpress.com/2023/06/ga185.pdf#page=168&view=Fit).