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##### Den Geist in den Einzelheiten finden; Goethe suchte “im Kleinsten das Größte"
Es ist nicht zu verwundern, wenn die Menschen zu nichts kommen können in bezug auf das große geistige Ziel der Menschheit, das sie nur aus einem abstrakten Streben heraus erreichen wollen; die gleich an die höchsten Probleme des Lebens herangehen; die nicht die Neigung haben, die einzelnen Pflanzen, die einzelnen Tiere zu vergleichen, Knochen mit Knochen zu vergleichen; die nicht Schritt für Schritt gefaßt durch die Welt gehen, um in den Einzelheiten den Geist zu finden: bei all denen wird die abstrakte Sehnsucht auch zu nichts führen. Sehen wir uns Goethe an, wie er auf der italienischen Reise Schritt für Schritt dazu kommt, die Urpflanze zu finden, wie er Steine sammelt, wie er sich in emsiger Forscherarbeit dazu vorbereitet hat, wie er nicht gleich sucht, wie «eins ins andere strebt», sondern wie er sich sagt: Willst du einmal eine Ahnung bekommen, wie «eins in dem andern wirkt und lebt, wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen und sich die goldnen Eimer reichen», dann sieh einmal, wie ein Wirbel des Rückenmarks sich an den andern heranreiht, ein Knochen sich an den andern heranlegt, eine Kraft der andern die Hand reicht; suche im Kleinsten das Bild des Größten! - Und Goethe wurde schon durch die italienische Reise ein emsiger Student, der alles im einzelnen beobachtete, der im Kleinsten das Größte suchte und sich sagte: wenn der Künstler im Sinne der Griechen verfährt, nämlich «nach den Gesetzen, nach welchen die Natur selbst verfährt», dann liegt in seinen Werken das Göttliche, das in der Natur selbst zu rinden ist. - Für Goethe ist die Kunst «eine Manifestation geheimer Naturgesetze». Was der Künstler schafft, sind Naturwerke auf einer höheren Stufe der Vollkommenheit. Kunst ist Fortsetzung und menschlicher Abschluß der Natur. Denn «indem der Mensch auf den Gipfel der Natur gestellt ist, so sieht er sich wieder als eine ganze Natur an, die in sich abermals einen Gipfel hervorzubringen hat. Dazu steigert er sich, indem er sich mit allen Vollkommenheiten und Tugenden durchdringt, Wahl, Ordnung, Harmonie und Bedeutung aufruft und sich endlich bis zur Produktion des Kunstwerkes erhebt.» ([[GA 057]], S. 322–323, 12.03.1909)
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Wo und wie findet man den Geist? (GA 057). Rudolf Steiner Verlag, 2. Aufl., Dornach 1984[ ](https://akanthosakademie.files.wordpress.com/2023/06/ga057.pdf#page=322&view=Fit).