[[AUGE DES GEISTES]] | [[BEGRIFF]] | [[LEBENDIGES DENKEN]] | [[GOETHES ERKENNTNISART]] | [[METAMORPHOSE]] | [[KANT]] [[Anschauende Urteilskraft]] | [[Ding an sich]] | [[Geistige Anschauung]] | [[Idee, lebendige]] | [[Metamorphosedenken]] ##### Goethes Metamorphosenlehre als Vorläufer der Geistanschauung. Metamorphosedenken kann die sich verwandelnde Wirklichkeit erfassen Wie man sich nun auch zu den Einzelheiten, sei es auf diesem, sei es auf jenem Gebiete der Naturforschung bei Goethe verhalten mag, man kann als ein Durchgreifendes in seiner ganzen Naturforschung eins ins Auge fassen: die Art, wie er überhaupt geforscht hat. Diese Art war allerdings vielen etwas Fremdes und ist auch heute vielen etwas Fremdes. Goethe hat sich selbst klar über diese Artung ausgesprochen. Man denke sich, wie die Menschenseele, die im Goetheschen Sinne der äußeren Lebewelt gegenübersteht, genötigt ist, solch ein Organ wie das Pflanzenblatt sich in Umwandlung zu denken zum Blumenblatt, dann wiederum zu dem fadenförmigen Staubgefäß, ja sogar umgewandelt zur Wurzel. Man denke sich einen einfachen ringförmigen Rückenwirbel durch innere Wachstumsgesetze aufgeplustert und verflacht, so daß er in seiner Ausbildung geeignet wird, nicht nur das Rückenmark, sondern auch das Gehirn zu umschließen, das selber wiederum aus einem Rückenmarksgebilde umgewandelt ist, und wie dazu nötig ist, was Goethe selber empfunden hat als die innere Beweglichkeit seines Denkens. Er hat es wohl empfunden, was daran hindert, die Welterscheinungen so anzusehen. **Wer ein starres Denken hat, wer ein solches Denken hat, das nur scharf konturierte Begriffe ausbilden will, der bildet sich den festen Begriff des grünen Blattes, des Blumenblattes und so weiter, kann aber nicht von einem Begriff zum andern übergehen. Dabei fällt ihm die Natur in lauter Einzelheiten auseinander. Er hat nicht die Möglichkeit, weil seine Begriffe selber keine innere Beweglichkeit besitzen, in die innere Beweglichkeit der Natur einzudringen.** Dadurch kommt man aber darauf, sich einzuleben in die Goethesche Seele und sich davon zu überzeugen, daß bei ihm das Erkennen überhaupt etwas ganz anderes ist als bei vielen anderen. **Während bei vielen anderen das Erkennen ein Zusammenfügen von Begriffen ist, die sie getrennt bilden, ist bei Goethe das Erkennen ein Untertauchen in die Welt der Wesenheiten, ein Verfolgen desjenigen, was wächst und wird und sich fortwährend verwandelt, ein solches Verfolgen, daß sich sein Denken selber dabei fortwährend verwandelt, daß es fortwährend wird, fortwährend von einem ins andere übergeht**. Kurz, Goethe bringt in innere Bewegung dasjenige, was sonst bloßes Denken ist. Dann ist es nicht mehr bloßes Denken. Darüber werde ich näher in den nächsten Vorträgen sprechen. Es handelt sich dabei, um es nur kurz anzudeuten, darum, daß der Mensch **das, was sonst bloß kombinierendes Denken ist, wie es dem zugrunde liegt, was man heute oftmals allein «Wissenschaft» nennt, zum innerlichen Denkleben erweckt. Dann ist das Denken ein Leben im Gedanken.** Dann kann man auch nicht mehr über das Denken denken, sondern dann verwandelt es sich überhaupt in etwas anderes. **Dann verwandelt sich das Denken über das Denken in eine geistige Anschauung des Denkens, dann hat man das Denken so vor sich, wie man sonst äußere Sinnesobjekte vor sich hat, nur daß man diese vor Augen und Ohren hat, während man das Denken vor der von geistiger Anschauung erfüllten Seele hat.** Goethe wollte überall übergehen von dem bloßen Denken zu den inneren geistigen Anschauungen, von dem bloßen Bewußtsein, wie es im Alltag vom Denken durchtränkt ist, zum schauenden Bewußtsein, wie ich es in meinem Buche «Vom Menschenrätsel» bezeichnet habe. Daher ist Goethe unbefriedigt davon, daß Kant davon gesprochen hat, der Mensch könne mit seinem Forschen nicht an die sogenannten «Dinge an sich» oder überhaupt an das Geheimnis des Daseins herankommen, und daß Kant es «ein Abenteuer der Vernunft» nannte, wenn der Mensch von der gewöhnlichen Urteilskraft, die kombiniert, aufsteigen will zur «anschauenden Urteilskraft», die in dieser Weise das kombinierende Denken zum inneren Leben erweckt. ([[GA 067]], S. 81–83, 21.02.1918) ____ Das Ewige in der Menschenseele. Unsterblichkeit und Freiheit. (GA 067). Rudolf Steiner Verlag, 2. Aufl., Dornach 1992[ ](https://akanthosakademie.files.wordpress.com/2023/06/ga067.pdf#page=81&view=Fit).