[[ANTHROPOSOPHIE]] | [[PLATONISMUS]] | [[GALILEI]] | [[PLATO]] [[Naturwissenschaft]] ##### Geisteswissenschaft träumt sich nicht in eine platonische Ideenwelt, sondern geht als Goetheanismus wie die Naturwissenschaft Galileos durch die Sinneswelt und wissenschaftlich ins Geistige Leicht wird man nun einwenden können: Also führt aus dem erprobten, äußerlich praktischen Weltwesen die anthroposophische Geisteswissenschaft, der Goetheanismus, hinweg in schwindelnde, bodenlose Wolkenkuckucksheime, in dasjenige, was sich abseits von der strengen Methodik der letzten Jahrhunderte zu phantastischen Höhen erheben mochte. Man will vergessen und verschlafen hier - so könnte man einwenden - in diesem Goetheanum alles dasjenige, was die Galilei-Zeit gebracht hat, und man will sich zurückträumen in das Ewige etwa auf platonische Art. Man will in der Ideenwelt Platos schwärmen von einem Ewigen, Unvergänglichen, weil man nicht die Geduld hat, sich einzulassen auf dasjenige, was in bezug auf die wirkliche äußere Welt an Errungenschaften die letzten Jahrhunderte gebracht haben. Aber man lerne sie nur wirklich und ohne Vorurteile kennen, diese Anthroposophie, wie sie hier gepflegt werden will in diesem Goetheanum, und man wird finden, daß man hier nicht mit einem leichtfertigen Überspringen des Galileismus in eine erträumte platonische Welt sich flüchten will, sondern daß man hier alles dasjenige will, was der Mensch erringen kann in wirklicher Einsicht in diese äußere vergängliche Sinneswelt, was er gewinnen kann an äußerer Lebenspraxis, daß man den Galileismus voll in sich aufnehmen will, um seine Strenge, seine Disziplin hinaufzutragen in jene Höhen, in die Plato ohne diese moderne Kultur sich hinaufbegeben durfte. Plato lebte in seiner Ideenwelt, die ihm eben eine lebendige war, er konnte es aus den Kräften seiner Zeitepoche heraus, noch ohne den Galileismus. **Wir müßten ins Bodenlose kommen, in Schwärmerei, in Phantastik, wenn wir ohne die Vorstufen desjenigen, was uns die Galilei-, die Kopernikus-, die Keplerzeit, die Giordano Bruno-Zeit gebracht hat, in die platonische Höhenwelt träumend uns begeben würden. Man lerne deshalb nur kennen, was die hier gemeinte Anthroposophie will, dann wird man ihr nicht vorwerfen, daß sie in phantastischer Weise schwärmend in eine platonische Ideenwelt sich vom Leben hinweg wenden möchte. Nein, sie möchte gerade aus dem Geist heraus die Kräfte voller Wirklichkeit schöpfen, um praktisch einzudringen in das wirkliche praktische Leben.** Und ebenso wenig, wie der Außenwelt gegenüber die hier gemeinte Anthroposophie schwärmen und träumen will, ebenso wenig will sie in das Innere des Menschen so hineinführen, daß der Mensch als Mystiker ein Einsiedler des Lebens werde, daß er wie ein Eremit sich hinwegstehlen möchte von alle dem, was seine Aufgabe ist im wirklichen äußeren praktischen Leben. ([[GA 077b]], [21.08.1921, S. 22-23](https://akanthosakademie.files.wordpress.com/2023/06/ga077b.pdf#page=223&view=Fit)) --- Kunst und Anthroposophie. Der Goetheanum-Impuls: Sommerkurs, Dornach 1921. (GA 077b). Rudolf Steiner Verlag, 1. Aufl., Dornach 1996[ ](https://akanthosakademie.files.wordpress.com/2023/06/ga077b.pdf#page=22&view=Fit).