[[ORGANIK]] [[Evolution]] | [[Zoologie]] ##### Goethes hellsichtige Beschreibung des evolutionären Übergangs von Wassertieren zum Landleben Ein ungeheurer Geist, wie er im Ozean sich wohl als Walfisch dartun konnte, stürzt sich in ein sumpfig-kiesiges Ufer einer heißen Zone; er verliert die Vorteile des Fisches, ihm fehlt ein tragendes Element, das dem schwersten Körper leichte Beweglichkeit durch die mindesten Organe verleiht. Ungeheure Hilfsglieder bilden sich heran, einen ungeheuren Körper zu tragen. Das seltsame Wesen fühlt sich halb der Erde halb dem Wasser angehörig und vermißt alle Bequemlichkeit, die beide ihren entschiedenen Bewohnern zugestehen. Und es ist sonderbar genug, daß diese Sklaverei, »das innere Unvermögen sich den äußern Verhältnissen gleichzustellen«, auch auf seine Abkömmlinge übergeht, die, obgleich im entgegengesetzten Sinne, ihre Herkunft nicht verleugnen. Man lege die Abbildungen des Riesenfaultiers und des Ai nebeneinander, so wird man, überzeugt von der wechselseitigen Verwandtschaft, etwa Folgendes aussprechen: Jener ungeheure Koloß, der Sumpf und Kies nicht beherrschen, sich darin nicht zum Herrn machen konnte, überliefert, durch welche Filiationen auch, seiner Nachkommenschaft, die sich aufs trockene Land begibt, eine gleiche Unfähigkeit, ja sie zeigt sich erst recht deutlich, da das Geschöpf in ein reines Element gelangt, das einem inneren Gesetz, sich zu entwickeln, nicht entgegen steht. Aber wenn je ein geistloses schwaches Leben sich manifestiert hat, so geschah es hier; die Glieder sind gegeben, aber sie bilden sich nicht verhältnismäßig, sie schießen in die Länge, die Extremitäten, als wenn sie, ungeduldig über den vorigen stumpfen Zwang, sich nun in Freiheit erholen wollten, dehnen sich grenzenlos aus, und ihr Abschluß in den Nägeln sogar scheint keine Grenze zu haben. Die Halswirbel vermehren sich, und indem sie sich auseinander selbst erzeugen, deuten sie auf den völligen Mangel an innerem Halt; wie denn auch der Kopf sich klein und hirnlos erweist. Daher man denn wohl sagen dürfte, daß in bezug auf den eigentlichen inneren höheren Typus das Riesenfaultier weit weniger ein Ungeheuer sei als der Ai. Merkwürdig dagegen ist, wie im Unau der animalische Geist sich schon mehr zusammengenommen, sich der Erde näher gewidmet, sich nach ihr bequemt und an das bewegliche Affengeschlecht herangebildet habe; wie man denn unter den Affen gar wohl einige findet, welche nach ihm hinweisen mögen. ___ Die Faultiere und die Dickhäutigen (1822). Zur Morphologie (Band I Heft 4). Berliner Ausgabe, Bd. 24 / Züricher Ausgabe Bd. 17, [[Naturwissenschaftliche Schriften II Zoologie#^w6dxm0|S. 349-350]]